13.01.2019
Mit dem im April 2017 verabschiedeten neuen BKA (Bundeskriminalamt) Gesetz startete die Bundesregierung eine Law and Order Kampagne, die sich zum Ziel setzte bundesweit die Polizeiaufgabengesetze, die Ländersache sind, zu verschärfen. Diese außerordentlich erfolgreiche Kampagne hat seitdem in vielen Aspekten der Polizei auf bundes- und landesebene neue Überwachungs- und Repressionsmittel in die Hand gegeben. Von Trojanern über “Ewigkeitshaft” zu Handgranaten ist alles dabei. Trotz der massiven Einschränkungen von Grundrechten, wurde das Polizeiaufgabengesetz (PAG) in Baden-Württemberg im November 2017 ohne nennenswerten Protest verabschiedet und ermöglicht der Polizei nun Aufenthaltsanordnungen, Kontaktverbote, Trojaner-Einsatz, intelligente Videoüberwachung und selbst den Einsatz von Handgranaten. [1]
Auch in Bayern wurde ein neues PAG vorbereitet, doch zumindest unter breitem Protest. Unter anderem versammelten sich in München um die 40.000 Menschen um gegen die geplanten Gesetzesänderungen zu protestieren. Die Landesregierung scherte sich jedoch wenig darum und verabschiedete im Juli 2017 und Mai 2018 PAG Erneuerungen, die noch deutlich über die Erweiterungen der Polizeikompetenzen in Baden-Württemberg hinausgehen. So erhält die bayrische Polizei umfangreiche Befugnisse zur Online-Durchsuchung und Überwachung und die Grenzen des Polizeigewahrsams, also Freiheitsentzug ohne Prozess, wurden massiv erweitert. Das ist die faktische Einführung der “Ewigkeitshaft”. Richter_innen können nun bei “drohender Gefahr” den Gewahrsam für drei Monate verordnen und immer wieder um diese Zeit verlängern. [1]
Während in anderen Bundesländern zumindest noch der Schein gewahrt wird, es ginge bei den Gesetzesänderungen um Terrorismusbekämpfung, wurde in Bayern und Baden-Württemberg die Eingrenzung gar nicht erst ins Gesetz geschrieben.
Einige interessanten Gedanken zur autoritären Offensive des Staates und einer möglichen Antwort bietet der nachfolgende Redebeitrag von einer Anti-Repressions Demo in Aachen am 18. November 2018: [2]
“Wie ihr sicher schon gehört habt, reichen dem Staat und der Polizei Mittel und Möglichkeiten zur Überwachung und Kontrolle der eigenen Bevölkerung nicht aus. Nach der Verschärfung des BKA Gesetzes im Jahr 2017 werden nun in den Landesparlamenten auch die Polizeiaufgabengesetze verschärft. Diese regeln mit welchen Befugnissen die Landes-Polizei ausgestattet ist und welche Methoden ihr ermöglicht werden. Im Gegensatz zum Strafgesetzbuch welches zur Strafverfolgung dient, ist das Polizeigesetz zur präventiven Gefahrenabwehr gedacht. Das heißt eine Straftat soll nach Einschätzung und Mutmaßungen der Polizei verhindert werden bevor irgendetwas passiert ist.
In Bayern wurde bereits ein neues PAG verabschiedet welches weitere massive Eingriffe in die Grundrechte durch die Polizei rechtfertigt und welches eindeutig nicht mit dem Grundgesetz im Einklang steht. In Sachsen und weiteren Bundesländern auch in NRW werden die Vorschläge zur Erneuerung der PAGs gerade diskutiert.
Als seien die Befugnisse der Polizei nicht umfassend genug. Wie z.B das Durchführen verdachtsunabhängiger Personenkontrollen, dass als gesetzliche Grundlage für das sogenannte ‘racial profiling’ zu sehen ist oder die sogenannten Gefahrengebiete, die Menschen in bestimmten Vierteln/Regionen unter Generalverdacht stellen (Hambi seit 2018, Hamburg 2014). Und wie so oft stellen diese nur die gesetzlichen Rahmenbedingungen dar und beruhen auf dem Vertrauen, dass die Polizei Verhältnismäßigkeit walten lässt. Gründe für dieses Vertrauen suchen wir allerdings vergeblich, wo doch die eigenen Erfahrungen mit dem Staatsapparat, aber auch in bekannterem Maße die Kollaborationen von Verfassungsschutz, MAD (militärischer Abschirmdienst) und Polizei mit dem Neonazi-Terrornetzwerk NSU, Gründe zu Sorge en masse bieten.
Mit dem Gesetzesvorschlag in NRW sollen v.a. drohende terroristische Gefahren abgewehrt werden, die die politischen wirtschaftlichen oder sozialen Zusammenhänge angreifen. So der Gesetzesvorschlag. Diese mit dem Terrorverdacht einhergehenden, außerordentlichen Repressionsbefugnisse werden dabei insbesondere gegen antagonistische, widerständige politisch Andersdenkende angewendet. Das zeigt sich unter anderem in den Fällen, wo der Paragraph 129 a/b (Bildung,Mitgliedschaft, Unterstützung einer terroristischen/kriminellen Vereinigung) benutzt wurde. Z.B. Bei dem Verbot von Indymedia.linksunten, dem Verfahren gegen Genoss*innen vor dem G8 Gipfel in Heiligendamm sowie bei der Verfolgung der unliebsamen Unterstützung des kurdischen Befreiungskampfes als auch der PKK.
Zu den verschärfenden Maßnahmen im Vorschlag gehören u.a. die Ausrüstung der Polizei mit Tasern und Handgranaten und weiteren Maschinengewehren. Eine ausgeweitete Videoüberwachung, vereinfachtes und vermehrtes Abhören und Mitlesen von Telekommunikation und auch das Installieren vom sogenannten ‘Staatstrojaner’. Das Auferlegen von Kontakt- und Aufenthaltsverboten, sowie -geboten, auch mit Hilfe von elektronischen Fußfesseln. Außerdem soll die Ingewahrsamnahme länger als bisher möglich sein und auch für Identitätsfeststellungen soll der Polizei mehr Zeit eingeräumt werden. Das ist vermutlich auf die Querelen zurückzuführen, die Menschen der Polizei beim Widerstand gegen die Tagebaue von RWE eingebracht haben. Wie bei den Gefahrengebieten und der Kommunikationsüberwachung sind diese klar als Einschränkung von Protesten und Widerständigkeiten zu sehen und nicht als Maßnahmen zur Terrorabwehr.
Ein Schmankerl ist auch die sogenannte Präventivhaft. So dürfte die Polizei Menschen bis zu 14 Tage einsperren, ohne Beweise, nur auf Grund der eigenen Annahme, dass Straftaten begangen werden könnten. Das gleicht faktisch der im Nationalsozialismus praktizierten Schutzhaft, die vor allem zur Inhaftierung und Folter von Antifaschist*innen und anderen politischen Gegner*innen genutzt wurde.
Nur um es nochmal klar zu machen all diese Möglichkeiten hat die Polizei, obwohl noch gar nichts passiert ist, also keine Straftat begangen wurde und auch keinerlei Beweise für geplante Straftaten vorliegen müssen. Wortwörtlich heißt es in dem Gesetzesvorschlag, dass Tatsachen diese Annahme rechtfertigen müssen. Also würde es konkret ausreichen, dass die Polizei denkt mensch könnte eine Straftat begehen, um z.B. in Gewahrsam genommen zu werden. Wie die Polizei zu dieser Annahme gelangt weiß nur diese selber. Angsteinflößend oder? Wenn ich mich jetzt schon ohnmächtig fühle gegenüber abgesprochenen Falschaussagen der Bullen vor Gericht, soll ihnen dieses Vorgehen auch noch gesetzlich erlaubt werden.
Auch scheinen die Regierungen in dem neuen Gesetz ihre viel gepriesene Digitalisierung vorbereiten zu wollen. Welche wir eher als technologischen Angriff wahrnehmen.
Unter Berücksichtigung der Digitalisierung und modernen Technologien eröffnet der Abschnitt zur ausgeweiteten Videoüberwachung weitreichende Möglichkeiten für die Cops. (In Bayern steht sie bereits im Gesetz) Hier sind vor allem die Gesichtserkennungssoftware, die bereits in verschiedenen Gebieten zum Einsatz kommt, und eine Software, die von der Norm abweichendes Verhalten erkennt, zu nennen. Konkret verankert sind diese im Gesetzestext zwar nicht, doch liest er sich unter diesem Gesichtspunkt wie eine vorbereitende Maßnahme. Installiert werden sollen die Kameras an Orten, an denen vermehrt Straftaten begangen wurden, verabredet oder geplant werden. Oder Orte, die die Begehung von Straftaten durch räumliche Gegebenheiten erleichtern. An Orten mit ungefähr denselben Eigenschaften soll auch eine Identitätsfeststellung ermöglicht werden. Lasst euch das mal auf der Zunge zergehen. Gibt es dann eigentlich Orte für die mensch das mit absoluter Wahrscheinlichkeit ausschließen kann?
Mehrmals lässt sich auch die Formulierung finden „[…] Personen […], deren individuelles Verhalten die […] Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie in einem übersehbaren Zeitraum eine terroristische Straftat begehen wird.“ Das liest sich doch als Blaupause für die Verhaltensauffälligkeitssoftware, die individuelles Verhalten, dass als nicht normal in einem bestimmten Kontext z.B. einem Bahnhof, erkennt. Auf der Basis dieser Entscheidung könnten dann weitere Maßnahmen, wie Ingewahrsamnahme oder Überwachung der Telekommunikation durchgesetzt werden. Also würden Leute überwacht oder sogar festgenommen weil eine Software, ohne das wir wissen wie, feststellt, dass deren Verhalten von der Norm abweicht. Immer wieder werden Stimmen laut mit Sätzen wie: „Aber wir leben doch in einem Rechtsstaat, hier gilt die Unschuldsvermutung, im Zweifel für den*die Angeklagte*n, wir haben ein Recht auf Privatsphäre und Datenschutz.“
Aber im Auge der Polizei sind wir alle potentielle Straftäter*innen über die möglichst viele Daten gesammelt werden sollen, damit die Wahrscheinlichkeit mit der sie, wann, wie und wo
straffällig werden genau bestimmt werden kann. Da schmeckt mensch doch die absolute Kontrolle heraus, die der Staat aber auch Internetgiganten wie Google, Amazon und Facebook, anstreben. Sie wollen eine*n gläserne*n Bürger*in und möchten selbst die größtmöglichste Intransparenz walten lassen, durch undurchschaubare Bürokratievorgänge und Algorithmen, Geheimnistuerei wegen Sicherheitsbedenken oder simplem Beschiss. Diese Praxis der „Gewaltprävention“ nennt sich predictive policing und ist in den USA schon recht weit verbreitet. Auch hier werden mehr und mehr Hilfsmittel aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz eingesetzt.
Zur Datensammlung und Verwertung gehören natürlich auch Datenbanken. So wurde in den letzten Jahren immer mehr nationale,geheimdienstliche und polizeiliche Datenbanken zusammengelegt in denen Fingerabdrücke, DNA-Spuren und weitere Informationen gespeichert sind. Sowohl bundesweit unter den verschiedenen Behörden, EU-weit zwischen den Behörden der Nationen und weltweit im Rahmen der Interpol Datenbanken. Die erweiterten Befugnisse der Polizei zur Personalienfeststellung spielen ihr dabei in die Hände, z.B. für eine schnelle Erweiterung der Fingerabedrucksdatenbanken. Außerdem werden den Cops viele Möglichkeiten zur Speicherung ihrer gesammelten Informationen gegeben, oftmals mit dem Vorbehalt zur Strafverfolgung. Dabei ist das doch gar nicht die Aufgabe des Polizeigesetzes.
Und da ist es wieder das Vertrauen, das verlangt wird, dass der Staat seine Mittel und Wege abwägend und zum Schutz unser aller Rechte auswählt. Doch auch in der Vergangenheit hat sich die Polizei nicht nur im gesetzlichen Rahmen bewegt, sondern ist ziemlich willkürlich darüber hinweg gegangen oder hat zumindest den vollen Rahmen gesetzlich eingeräumter Spielräume unverhältnismäßig genutzt.
Und dieses Gesetzesvorhaben trieft nur so von schwammigen, unkonkreten Formulierungen, die je nach Belieben ausgelegt werden können.
Alles in allem zeichnet sich eine echt düstere Zukunft ab. Und es liegt an uns zu begreifen wie gering unser Einfluss auf diese Zukunft zu seien scheint und nach Mitteln und Wegen zu suchen uns die uns dazu ermächtigen diese mitzubestimmen. Sollten wir diese Mittel nicht viel eher danach auswählen ob sie zur Selbstermächtigung beitragen und Einfluss auf unsere gesellschaftliche Realität haben als danach ob sie in den legalen Rahmen passen den uns der Staat vorgibt? Und, wie sich hier zeigt, kann sich dieser Rahmen sehr schnell ändern je nachdem wer gerade am Drücker ist. Denn diese Gesetze sind keine Regeln die diese Gesellschaft sich selber gibt, sondern sie werden uns von den Mächtigen auferlegt. Nicht etwa unser aller Sicherheit wegen, sondern zur Sicherung ihrer/der Herrschaft. Und sollten wir vielleicht eher wieder lernen uns Abseits der Gesetzte zu bewegen und eigene Strukturen aufzubauen, nach unseren eigenen Vorstellungen und Prinzipien, (nämlich die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen zu beenden) und nicht daran gemessen wie anschlussfähig sie in den Massenmedien erscheinen?
Sollten wir uns nicht fragen warum der Staat gerade jetzt, scheinbar ohne Not, massiv aufrüstet? Und inwieweit diese neuen Möglichkeiten der Unterdrückung und Überwachung ein offenes Einfallstor für einen neuen Faschismus darstellen?
Staaten und Regierungen befinden sich derzeit in einer Krise, in der ihre Legitimität heftig in Frage gestellt wird. Leider nicht zu Gunsten einer freieren offeneren Gesellschaft, sondern der Populist*innen, Hetzer*innen und dem Ruf nach neuen strikten Autoritäten. Wie in den USA, Ungarn, Italien, Polen oder jüngst Brasilien nutzen die Rechten diese Krise um sich als die einzigen darzustellen die Konsequenzen ziehen. Nicht etwa welche die die Probleme der Menschen angehen, sondern in dem sie weiter nach unten treten, gegen Geflüchtete, die Schwarze oder migrantische Bevölkerung, Frauen, Trans*Gendern oder Homosexuellen. Und sie kommen damit auch noch an die Regierung.
Sind diese Gesetzesverschärfungen nun Maßnahmen der bürgerlichen Parteien um ihren eigenen Machterhalt zu sichern, oder die Ausformung von faschistischem Gedankengut in gesetzlicher Form? Vermutlich beides.
Warum schaffen wir es nicht das angegriffene Ansehen des Staates zu nutzen, um seine Legitimität weiter in Frage zu stellen? Ist das nicht der Boden den wir brachen um die Ideen von einer selbstbestimmten freieren Gesellschaft zu sähen?
Lasst uns dem erstarkenden Staat nicht mit Ohnmacht begegnen sondern uns ihm gemeinsam entgegenstellen. Schaffen wir viele heiße Schanzennächte und viele Indymedias. Nehmen wir dem Staat sein Gewaltmonopol und den Medien die Deutungshoheit! Unserer Meinung nach ist mit das Wichtigste, um uns diese selbstbestimmte Praxis zu ermöglichen, dass wir uns darauf verlassen können, dass wir nicht alleine dastehen, wenn wir uns den Repressionen des Staates nicht mehr entziehen können!
Solidarität mit allen im Widerstand und Freiheit für alle Gefangenen.”
[1] https://www.cilip.de/2018/08/14/neue-deutsche-welle-zum-stand-der-polizeigesetzgebung-der-laender/#_ftn4
[2] https://antirepac.noblogs.org/post/2018/11/28/redebeitrag-vom-18-11-18/#more-189 (Rechtschreibfehler zur verbesserten Lesbarkeit korrigiert)